Manfred Weghenkel
Der heutige Neil Diamond auf dem neuen Album-Cover „Classic Diamonds". Fotorechte: Capitol Music
Sein tempogeladener Song „Talking Optimist Blues" aus dem erfolgreichen Country-Album „Tennessee Moon" von 1996 hat den Refrain „Have A Good Day Today". Ein Gute-Laune-Lied, das einen so richtig in Schwung bringt. Heute ist nun wieder mal so ein freudiger Tag, denn Pop-Legende Neil Diamond, der Sänger dieses mitreißenden und zudem humorvollenTitels, feiert seinen immerhin schon 80. Geburtstag. Für die vielen Kenner und Liebhaber seines nahezu sechs Jahrzehnte währenden popkulturellen Schaffens in aller Welt heißt das ganz sicher: „Herzlichen Glückwunsch und weiterhin das Beste!"
Seit der am 24. Januar 1941 in New York City, Stadtteil Brooklyn, geborene US-amerikanische Singer/Songwriter vor drei Jahren bekanntgab, an Parkison erkrankt zu sein und deswegen seine Welttournee abbrechen und die Konzerte einstellen musste, sind seine treuen Anhänger und Fans überall auf der Erde in großer Sorge um den legendären Mr. Beautiful Voice, wie er zuweilen aufgrund seiner schönen Stimme und in Anlehnung an einen seiner erfolgreichsten Songs - „Beautiful Noise" aus dem Jahre 1976 - gerne genannt wird.
Doch Diamond kämpft tapfer und kreativ gegen die schwere Krankheit an - getreu seines Versprechens vom Januar 2018: „Ich werde noch lange Zeit schreiben, Musik aufnehmen und in anderen Projekten aktiv sein." Ein erstes großes Vorhaben hat er unlängst realisiert. Im November 2020 kam beim US-Musiklabel Capitol Records ein neues Studioalbum mit dem Titel „Classic Diamonds" heraus. Begleitet vom London Symphony Orchestra präsentiert der weltbekannte Singer/Songwriter darauf 14 von seinen erfolgreichsten Liedern in klassisch angehauchtem Sound, darunter „Beautiful Noise", „I Am...I Said", „Song Sung Blue", „America", „I'm A Believer", „Holly Holy", „Love On The Rocks", „Heartlight" und natürlich der unkaputtbare Event- und Partykracher „Sweet Caroline", Diamonds wohl größter Erfolg überhaupt.
Aufgenommen wurde das Album mit den frisch eingesungenen und vom Orchester neu interpretierten Songs in den durch die Beatles legendär gewordenen Londoner Abby-Road-Studios und in Diamonds eigenem Studio in Los Angeles. Produzent ist der mehrfache Grammy-Gewinner Walter Afanasieff, der zusammen mit dem ebenfalls hochkarätigen Musiker William Ross auch die neuen Arrangements der zeitlosen Neil-Diamond-Hits schrieb.
„Neil Diamond ist einfach einer der wichtigsten und einflussreichsten Sänger und Songschreiber der Popmusik. Dieses prächtige neue Album wirft ein schönes Schlaglicht auf einige seiner größten Schöpfungen", erklärte der Chef der Capitol Music Group Steve Barnett. Für den internationalen Superstar Diamond war dieses in schwierigen Corona-Zeiten und trotz seiner Gesundheitsprobleme realisierte Projekt auch ein Wagnis. Denn die auf diesem Album vereinten Songs aus seiner wichtigsten Schaffensperiode - Mitte der Sechziger bis Anfang der Achtziger - haben sich über die Jahrzehnte dermaßen ins Hörgedächtnis von Millionen Menschen eingebrannt, dass Neufassungen, zumal mit imposanter Orchesterbegleitung, sängerisch und soundtechnisch durchaus problematisch sein, ja zu Enttäuschungen führen können. Glücklicherweise haben die Produzenten eine gefährliche Überorchestrierung vermieden, die den Sänger nahezu verschwinden lässt oder unkenntlich macht. Hier wurde eine stimmige Balance gefunden.
Diamond bei seinem Hamburg-Konzert am 26. September 2017 im Rahmen der 50-Jahre-Jubiläumstour. Foto: NDRNatürlich ist auch Diamonds so markante Baritonstimme mit dem angerauten, kernigen Schmelz gealtert, leicht brüchig geworden, was bei seiner letzten (vorzeitig beendeten) Welttournee 2017 bereits deutlich erkennbar war. Doch im 80. Lebensjahr hat er noch einmal alle Register ziehen und sängerische Highlights darbieten können. Sein immer noch überaus kräftiger, ziemliche Höhen erreichbarer Gesang kommt auf dieser Edition insbesondere bei solchen Balladen wie „Hello Again",„Love On The Rocks" (Mundharmonika: Stevie Wonder!), „I Am...I Said", „Song Sung Blue", „Holly Holy", "I've Been This Way Before" und „Heartlight", aber auch bei rhythmisch betonten Titeln wie „America" und „Beautiful Noise" bestens zur Geltung. Letzterer Song über typische, aber angenehm empfundene Großstadtgeräusche - auf dem Album der schwungvolle Opener - bezaubert zudem durch wunderschöne barocke Trompeten-Tongirlanden.
Zum 80. Geburtstag darf natürlich auch ein kurzer zusammenfassender Blick auf das Leben und Schaffen von Neil Diamond nicht fehlen. Der aus einer polnisch-russischen Einwandererfamilie jüdischen Glaubens stammende Neil Leslie Diamond schwärmte als Teenager für die Everly Brothers, Chuck Berry, Little Richard und natürlich Elvis Presley. Mit Barbra Streisand sang er im Schulchor. Zum 16. Geburtstag bekam er von seinem Vater, der ein kleines Ladengeschäft in Brooklyn betrieb, eine Gitarre geschenkt, die er dann begeistert spielen lernte. Doch schon bald versuchte er sich auch an eigenen Liedern. Das erste schrieb er 1958 für seine Freundin. Bis 1964 folgten mehrere Songs, die allerdings erfolglos blieben.
In den frühen Sechzigern verdingte sich der talentierte Autodidakt Diamond in New York bereits professionell als Songwriter für andere. Der Durchbruch kam 1965, als er seinen an den Beatles orientierten Titel „I’m A Believer“ der TV-Castingband „The Monkees“ überließ. Der rockige Song schoss an die Spitze der US-Charts, verkaufte sich rund 10 Millionen Mal – Neil Diamonds erster Welthit! Nun wollte er sich auch selbst als Sänger beweisen, und bereits 1966 gelang ihm mit der Single „Solitary Man“ sein erster eigener Knaller. Der flotte Song über den einsamen, eigenwilligen Mann, den Einzelgänger, wurde zum Markenzeichen des jungen Diamond, der daraufhin von einem späteren Biographen sogar das Etikett „Solitary Star“ erhielt. Kein Geringerer als Country-Legende Johnny Cash gab diesem Schlüsselsong Neil Diamonds im Jahre 2000 in seinem hochgelobten Alterswerk „American III: Solitary Man“ gleichsam die Weihe für die Ewigkeit.
Plakat eines früheren Konzerts des Weltstars in London. Foto: Manfred WeghenkelNach „Solitary Man“ ging es Schlag auf Schlage weiter mit Diamond-Edelsteinen. „Cherry, Cherry“ erreichte bereits die Top Ten, und die Single „Cracklin’ Rosie“ war dann 1970 Neils erster Nr.1- Hit. Weitere Number Ones: Song Sung Blue (1972) und „You Don’t Bring Me Flowers“ (1978), das bekannte melancholische Duett mit Barbra Streisand über eine gescheiterte Liebesbeziehung. Ebenfalls Top-Ten-Hits wurden „Girl, You’ll Be A Woman Soon“, „Sweet Caroline“, „I Am… I Said”, “Longfellow Serenade”, “Holly Holy”, „Love On The Rocks“, “Hello Again”, “America” und „Heartlight“, wozu Diamond 1982 von Steven Spielbergs Science-Fiction-Film “E.T. – Der Außerirdische” inspiriert wurde. Nicht nur die “Monkees” landeten einen von Neil Diamond geschriebenen Welthit, sondern fast zwanzig Jahre später auch die britische Reggae Band UB 40, die „Red Red Wine“ 1983 in GB und in den USA auf Platz 1 der Charts hievte. Der Song handelt von einem, der seine Liebe verliert und den Kummer darüber in Rotwein ertränkt. Diamond bereicherte die Popmusik mit einigen der schönsten Love Songs überhaupt. Man denke z. B. an die ergreifende Ballade „Play Me“ von 1972 mit dem Refrain „You are the sun, I am the moon, You are the words, I am the tune, play me.” Der große Harry Belafonte hat sie emphatisch nachgesungen. Oder an den melodischen Song “The Story Of My Life” aus dem Jahre 1986, in dem es heißt: „The story of my life is very plain to read. It starts the day you came and ends the day you leave.”
In den Siebzigern knüpfte Diamond auch Beziehungen zum Film an. Für den überaus erfolgreichen, mit klassischen Elementen arbeitenden Soundtrack zur Verfilmung des existentialistischen Romanbestsellers „Jonathan Livingston Seagull“ („Die Möwe Jonathan“) von Richard Bach erhielt er 1974 den höchsten Musikpreis Grammy. Die Musik zu dem 1980 herausgekommenen Spielfim „The Jazz Singer“ stammt ebenfalls von Diamond, der an der Seite des berühmten britischen Mimen Sir Laurence Olivier auch die Hauptrolle spielte – einen jungen New Yorker Juden, der nicht mehr in der Synagoge singen, sondern Pop-Star werden will. Dieser Soundtrack u. a. mit den Hits „America“, „Hello Again“ und „Love On The Rocks“ erreichte die Nr. 1 der US-Billboard Charts. Die beiden Filme floppten damals allerdings, so dass sich Diamond aus dem Filmgeschäft wieder zurückzog. Doch 2001 ließ er sich von Regisseur Dennis Dugan noch einmal zu einem Gastauftritt in der Filmkomödie „Saving Silverman“ (bei uns: „Zickenterror – Der Teufel ist eine Frau“) überreden, in deren Mittelpunkt eine Neil-Diamond-Coverband steht.
Von Neil Diamond komponierte Songs finden sich außerdem in dem 1994 gedrehten Quentin-Tarantino-Kultstreifen „Pulp Fiction“, wo Urge Overkill eine gelungene Neuaufnahme von „Girl, You’ll Be A Woman Soon“ (1967) singt, sowie in dem computeranimierten Erfolgsfilm „Shrek – Der Tollkühne Held“ (2001); dort rocken die Band „Smash Mouse“ und Eddie Murphy mit „I’m A Believer“ heftig ab. In mindestens zehn weiteren US-Spielfilmen erklingen ebenfalls Hits von Diamond.
Kaleidoskop seiner zahlreichen Musikalben.Auch wenn Neil Diamond seine größten Chart-Erfolge von Mitte der 1960-er bis Anfang der 1980-er Jahre feierte, auch danach brachte er in schöner Regelmäßigkeit bemerkenswerte Alben heraus, so 1986 Headed for the Future, 1988 The Best Years of Our Lives, 1991 Lovescape, 1993 Up on the Roof, 1996 Tennessee Moon, 1998 The Movie Album: As Time Goes By, eine Doppel-CD mit meisterhaft gesungenen 20 unvergänglichen Hollywood-Melodien. Nach der Jahrtausendwende leitete der Singer/Songwriter eine neue Schaffensperiode ein, indem er wieder Alben mit ausschließlich eigenen Songs veröffentlichte. Die 2001 erschienene CD „Three Chord Opera“ war vom Sound her insgesamt noch ein wenig traditionell verhaftet und wohl deshalb kein großer Renner. Doch dann tat er sich mit dem Starproduzenten Rick Rubin, der schon das Spätwerk von Johnny Cash erfolgreich betreut hatte, zusammen.
Rubin erreichte, dass Diamond von den früher oftmals überproduzierten Arrangements abließ und sich wieder ganz auf seine kompositorischen und stimmlichen Stärken konzentrierte. Und siehe da, die puritanisch angelegten, ohne soundtechnischen Schnickschnack produzierten Alben „12 Songs“ von 2005 und „Home Before Dark“ von 2008 erreichten wieder den Chart-Himmel; letzteres verdrängte sogar Madonna von Platz 1. Ein großer später Triumph für den „Altmeister“ Neil Diamond, dem es nun erstmals in seiner Halbjahrhundert-Karriere gelungen war, die Nr.1 in den Alben-Charts zu entern. Auch die 2009 veröffentlichte Doppel-CD „Hot August Night/NYC“, ein Live-Mitschnitt seines bisherigen Oeuvres aus dem New Yorker Madison Square Garden, platzierte sich wieder an der Spitze (Platz 2) der US-Charts. Im November 2010 kam das von ihm diesmal allein produzierte Album „Dreams“ mit filigran neu arrangierten und anrührend gesungenen Rock- und Popklassikern von den Beatles über Randy Newman bis zu Leonard Cohen heraus. 2014 veröffentlichte er als 32. Studioalbum „Melody Road", das neben dem entspannten Titelsong noch einmal einige sängerische Highlights, wie „Something Blue", „Nothing But A Heartache" und „In Better Days", enthält.
Immer wieder begeisterte der US-Superstar auf Welttourneen in stets ausverkauften riesigen Konzerthallen und Sportarenen Heerscharen von Fans und Verehrern der verschiedensten Altersgruppen. Denn Diamond mit seiner eigenen Band war ja stets auch ein begnadeter, mit voller Inbrunst agierender Live-Performer und Entertainer. Seine letzte World Tour 2017 stand ganz im Zeichen seines 50-jährigen Bühnenjubiläums. Wirklich schade, dass diese Ära nun vorbei ist.
Neil Diamond hat bislang sage und schreibe 46 Studio-, Konzert-, Weihnachts- und Filmmusik-Alben sowie eine Vielzahl von Best-of-Kompilationen und Singles veröffentlicht und damit mehr als 130 Millionen Tonträger herausgebracht. Er ist Grammy-Preisträger, hat einen Platz in der Rock and Roll Hall of Fame, einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame und weitere hohe Auszeichnungen. So bekam er für sein herausragendes Lebenswerk als Singer/Songwriter 2018 den Grammy Lifetime Achievement Award.
Ausdruck seiner enormen musikalischen Ausstrahlung und Anziehungskraft ist nicht zuletzt, dass er zu den meistgecoverten Songschöpfern überhaupt gehört. Elvis Presley, Frank Sinatra, Harry Belafonte, Johnny Cash, Glen Campbell, Cliff Richard, Karel Gott, Ronan Keating, David Hasselhoff, Tom Astor, Chris Norman, DJ Ötzi, Barbra Streisand, Shirley Bassey, Dahlia Lavi, Sarah Brightman, die Bands The Monkees, Deep Purple, Les Humphries Singers, UB 40 und U 2, die Opernsänger Andrea Bochelli und Rolando Villazon sowie viele namhafte Orchester - sie alle und noch viele andere renommierte Künstler haben Pop- und Rocksongs aus der Feder von Neil Diamond (teilweise sogar mit ihm im Duett) gesungen bzw. noch heute im Repertoire.
Bei allen Riesenerfolgen über mehr als fünf Jahrzehnte hinweg, der strahlende Fixstern am Pop- und Rockhimmel Neil Diamond polarisiert auch. Kritiker meinten es nicht immer gut mit ihm, was an oberflächlich verabreichten Etiketten wie „Leichtmatrose ohne Tiefgang“, „Mainstream-Mann", „Schmuse-Barde“ oder „Weichspüler“ ablesbar ist. Diamond wehrte sich mehrfach gegen sein angebliches Softie-Image. Der deutschen Zeitschrift Classic Rock Heft (01 / 2011) vertraute er an: „Die Leute meinen immer, ich wäre ein Softie - dabei habe ich mehr Rock ’n’ Roll in mir als manch anderer.“ Auch bei den zumeist jüngeren Musikredakteuren in Funk und Fernsehen spielt Diamond hierzulande leider nicht die ihm eigentlich gebührende Rolle. Ein zweifellos tieferes Verständnis ist bei Karin Thieme zu finden, die in ihrem Essay „Neil Diamond: In seiner Seele Musik" einfühlsam schrieb: „Der echte Neil Diamond kann nur in der Schönheit seiner Musik und Texte entdeckt werden. Seine Lieder entführen den Hörer in eine sehr persönliche Welt der Gefühle, in der man mit sich alleine, aber niemals einsam ist. Schnell wird man in den Bann des Poeten gezogen." Generell heißt es in dem beim renommierten Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf 2005 herausgekommenen Neil-Diamond-Bildband von Didi Zill: „Neil Diamond zählt zu den erfolgreichsten Künstlern aller Zeiten.“
Ohne Zweifel: Neil Diamond, Urgestein und Ikone der globalen Popularmusik, spielt in der obersten Liga seiner Zunft. Als Singer/Songwriter gehört er zur Königsklasse des Showbusiness und Entertainments. Ein Geheimnis für seinen großen, lang anhaltenden Erfolg ist zweifellos das perfekte Zusammenspiel von facettenreicher, eingängiger Musik, poetisch-subtilen Texten und markanter, wandlungsfähiger Baritonstimme. Zudem bedient er ein breitgefächertes, genreübergreifendes Spektrum: Pop, Rock, Folk, Country, Reggae, Easy Listening, Jazz, Musical, Filmmusik und manches andere. In ein Schubfach lässt er sich jedenfalls nicht stecken. Noch etwas: Diamond hat weitgehend künstlerische Extreme vermieden. Sein Konzept ist die Middle of the Road-Musik, also der goldene Mittelweg, was keineswegs mit Mainstream gleichuzusetzen ist. Und schließlich dürfte er auch deshalb hohes Ansehen genießen, weil er alles in allem sauber und skandalfrei geblieben ist. Für die bunte Presse war er nicht der Bringer. Das mag für manche langweilig klingen, ist aber auch nicht das Schlechteste für einen seriösen Kunstschaffenden.
Notabene: Eigentlich wollte der Ausnahmekünstler, der Solitär, die lebende Pop-Legende Neil Diamond ja Arzt werden. Doch schon nach wenigen Semestern brach er das Medizinstudium ab, weil er sich doch mehr zur Musik hingezogen fühlte. Sicher ein Glücksfall für Liebhaber der Tonkunst. Nun ja, das Heilen wurde in einem anderen Sinne zu seiner Herzenssache; lautet doch sein mehrfach betontes Credo: „Musik hat die Kraft zu heilen." Vielleicht trifft das ja sogar auf ihn selbst zu. Good Day Today! All The Best!
Weitere Informationen:
www.neildiamond.com